Samstag, 5. April 2014

CIAO DE:BUG

Mal wieder stirbt ein Print-Format im Zuge der digitalen Revolution.

Wo ich für gewöhnlich nicht wirklich traurig bin, empfinde ich in diesem Falle Wehmut. Erfrischend anders sahen die Redakteure von DE:BUG unsere Gesellschaft und deren Perspektiven; erkannten Strömungen und Tendenzen oft weitaus früher und analysierten von einem ganz speziellen Standpunkt aus, den so kein anderes, mir bekanntes Format einnimmt.

DE:BUG war in Fragen gesellschaftlicher Tendenzen oft Trendsetter lang vor der Mainstream-Presse - übte Kritik wo andere nur Fortschritt sahen und scheiterte letztendlich auch am eigenen Anspruch und der Erkenntnis, dass die Dinge momentan nicht besser werden - gesellschaftlich wie musikalisch.

Das waren auch die Themengebiete, die DE:BUG vereinte. Zu guter letzt schwang in jeder Ausgabe eine gehörige Portion Kulturpessimismus zwischen den Zeilen. Schon verständlich, wenn man bedenkt, dass die Redakteure - heute allesamt in den Mit-Dreissigern oder schon drüber, die Hochzeiten der digitalen Revolution mitgenommen hatten, ja aus dem vollen Geschöpft haben und deren langsamen Niedergang - zumindest aus kultureller Sicht - zu dokumentieren haben.

Und nicht nur das: Viele Menschen, die DE:BUG zu dem gemacht haben was es ist, haben den letzten großen Kulturschock, nämlich TECHNO, in den Neunziger Jahren quasi miterfunden. Nicht verwunderlich, dass man sich, entsetzt ob der Entwicklung einer ursprünglich offenen, heterogenen und zukunftsorientierten ("WE ARE FUTURE") Bewegung angewidert abgewendet hat, als immer deutlicher wurde, dass auch diese Kulturform von den Vermarktern zu anspruchsloser Popkultur auf dem Niveau von RTL II heruntergewirtschaftet wurde und nichtmal das Gros der Künstler einen weitergehenden Anspruch an den Tag legt als schnellen Fame einzufahren, was dem Ursprungsgedanken dieser Kultur diametral entgegensteht.

Im Blogeintrag auf der Website des Magazins, in dem das Aus mit der kommenden Ausgabe verkündet wurde, kamen von Kommentatoren unter anderem Vorwürfe, DE:BUG hätte sich thematisch nicht mehr mit aktuellen, kulturellen Strömungen auseinandergesetzt und sei im Jahre 2001 stehen geblieben. Die Reaktion auf diese Anschuldigung folgt vom User doctor cox  promt und messerscharf:
"minimal? gab’s schon in den neunzigern in geil. house/deep house? dito.“deep house” (also der ganze rotz, der dieser tage ignoranterweise unter diesem label verramscht wird)? kann man getrost links liegen lassen. techno, revitalisiert von diesem gewissen berliner club? orientiert sich, wenn gut, auch an neunzigerstandards und ist abgesehen davon inzwischen auch in weiten teilen furchtbar formelhaft. all die grad so schwer angesagten leftfield-spielarten von wasauchimmer? sind in ihrer soundästhetik ganz überwiegend klar eher der vergangenheit als der zukunft zugewandt."
DIE REVOLUTION FRISST SICH SELBST.

Ich sehe das ähnlich und rekapituliere in welcher Art und Weise das Jahr 2001 auf unsere Zukunft Einfluss nahm:

2000 - DOTCOM CRASH und einhergende Desillusionierung
2001 - WAR ON TERROR und  einhergende Angstkampagnen

DANN:

Wirtschaftlicher Abschwung, Selbstbeschränkung, Ausverkauf kreativer Strukturen, Faceweb, NSA, WAR und WAR und WAR und SELBSTDARSTELLUNGSSUCHT, SELBSTDARSTELLUNGSSUCHT, SELBSTDARSTELLUNGSSUCHT, mit klick klick KICK. Seither gerieren wir uns via FACEWEB als stumpfe Abbilder der Vorbilder; ängstlich genug etwas Neues, gar eigenständiges zu wagen. 

Wirtschaftlich und politisch werden Visionen heute durch Ängste erdrückt und die Perspektiven sind düster - politisch, wirtschaftlich und kulturell.

Wo sind die Chancen, die Möglichkeiten, die Freiheit, die Kreativität, die INTIMITÄT (auch des Augenblicks) der alten Zeit, ja das versprechen der Neunziger abgeblieben? Die kulturelle Revolution (hier WEB) frisst uns und unsere Gesellschaft auf während die Zeitungen vom Fortschritt jubilieren und wir alle munter versuchen coole Fotobeweise für unser superindividuelles Profil zu produzieren. DE:BUG hat das erkannt und war als Medienformat seiner Zeit damit voraus und in einem steten Dilemma.

Mein hochgeschätzer Rainald Goetz wird in der letzten Ausgabe als Intro auf SEITE 1 wie folgt zitiert:
"Es ist ja nicht Wut, es ist Hass. Aber auch die Wut wird immer scheusslicher. Es ist nicht mehr kommunizierbar. Bei jungen Menschen ist Wut eine schöne Sache, später eigentlich nicht mehr."
Im Blog fleht mkr: "Please bring back 1997". Ich kann dich so verstehen!

Ich denke das wird für lange Zeit mein letzter Nachruf bleiben.

FCK Y!